Im Feuilleton habe ich bisweilen den Eindruck: Da sitzen kleine Thomas Manns. Ach, schrieben sie doch ein klein wenig wie die Kollegen vom Sport! In diesem Newsletter erfahren Sie: Es ist möglich.
Literaturwurst des Monats
Die Kunst war sein Leben, und er wurde zum Gegenstand
                              ihrer Kunst. Als der 37-jährige Dieter Roth und die drei
                              Jahre jüngere Dorothy Iannone sich 1967 kennen und auf
                              den ersten Blick lieben lernten, genoss der in Hannover
                              geborene und in Reykjavik lebende Sohn einer deutsch-
  schweizerischen Familie als Produzent von „Literaturwürsten“
    und einzigartigen Kunstbüchern eine gewisse Popularität,
    während die kleine zierliche und schwarzhaarige Amerikanerin
    und Literaturwissenschaftlerin, die bunte Umrissfiguren aus
    Holz bastelte und sie mit exponierten Geschlechtsteilen
    versah, künstlerisch noch ein unbeschriebenes Blatt war.
  
  Der erste Satz klingt gut. Ein knappes,  elegant formuliertes 
                              Fazit. Dieses Amuse-Gueule macht Appetit. Doch es folgt 
                              eine schier endlose Wurst, vollgestopft mit Kraut und Rüben.
                              Alter, Jahreszahl, Ort, Herkunft, künstlerisches Schaffen,
                              Reputation. 73 Wörter. In dieser Form ist das unverdaulich.
  
  Portionieren  Sie 
  
                              Schneiden Sie die Wurst in Scheiben,  und legen Sie den 
                              Lesern eine nach der anderen vor. - Also vielleicht so:
  
  Die Kunst war sein Leben, und er wurde zum Gegenstand
    ihrer Kunst. Mit Mitte 30 lernten sie sich kennen - es war 
    Liebe auf den ersten Blick. Der Deutsch-Schweizer Dieter 
    Roth lebte 1967 in Reykjavik und genoss als Künstler eine 
    gewisse Popularität, die Amerikanerin Dorothy Iannone
    war künstlerisch noch ein unbeschriebenes Blatt. Roth 
  war Produzent von „Literaturwürsten“ und einzigartigen 
    Kunstbüchern, Iannone bastelte bunte Umrissfiguren aus
    Holz und versah sie mit exponierten Geschlechtsteilen.
  
  Sortieren  Sie 
  
                              Sortieren Sie Ihre Informationen: Was  ist wichtig, was ist 
                              weniger wichtig? Was kann wegfallen? Dann nehmen Sie 
                              Ihre Leser an die Hand und führen Sie sie durch das Thema.
  
                              Der erste Satz ist  gut, er bleibt unverändert. Der zweite gibt 
                              die Grundmelodie vor: Zwei Menschen Mitte 30 lernen sich
                              kennen und lieben sich vom ersten Augenblick an. Punkt. 
                              Diese Information bekommt einen eigenen Satz. 
Unwichtig ist an  dieser Stelle, dass Roth aus Hannover stammt
                              und dass Iannone „klein, zierlich und schwarzhaarig“ ist. 
  
                              Der dritte Satz bilanziert, wo die beiden zu diesem Zeitpunkt
                              künstlerisch stehen, der vierte beschreibt, was sie als Künstler 
                              machen. Aus dem ursprünglichen Mammutsatz mit 73 Wörtern 
                              werden damit vier Sätze mit insgesamt nur noch 61 Wörtern.
  
  Das  Grundrezept 
  
  Verständliche  Texte und lesefreundliche Sätze folgen Regeln. 
                              Meine Textversion orientiert sich an diesen fünf:
  
                              1.  Erst die Orientierung, dann die  Details. 
                              2.  Ein Gedanke – ein Satz.
                              3.  Was für die Geschichte nicht relevant ist,  fällt weg.
  
                              4.  Kurze Sätze sind verständlicher als  lange.
                            5.  Schachtelsatz-Konstruktionen sind  tabu. 
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